Thailand

30. Januar – 27. Februar 2018 | 1.170 km, 3.850 hm

Pünktlich um 12 brummt der Magen. Garküchen gibt es in Thailand an jeder Straßenecke, aber diese ist besonders hübsch. Weiße Tischdecken, Blumenbouquets, dralle Köchinnen schmecken das Curry ab und winken uns zu. Keine Frage, hier wollen wir hin! Hungrig ordern wir allerlei Köstlichkeiten, Bananen, Cola, zwischendurch die kurze Frage nach dem Preis, aber der Kellner winkt ab: „No money, free.“ Umsonst, nein, dazu wären wir zu gierige Gäste. Bei der Menge wollen wir zahlen. Doch seine Antwort lässt uns schlucken: „Das ist kein Restaurant. Das ist die Beerdigung meiner Oma und ihr seid herzlich eingeladen!“ Mit rotem Kopf schauen wir uns an, dann um und erschrecken – den Sarg mit Foto direkt hinter dem Buffet hatten wir bei aller Hungerhast völlig übersehen. Eine Einladung zum Leichenschmaus – peinlich berührt nehmen wir an. Eine buddhistische Beerdigung in Thailand dauert mehrere Tage, das gesamte Umland kommt vorbei und die Angehörigen reichen Essen und verschenken sogar Geld. So soll es der Verstorbene, beseelt von einem möglichst gutem Karma, im nächsten Leben noch besser haben. Die Gastfreundschaft der Trauergemeinde manövriert unsere mürben Seelen vollends aus der Krise vergangener Wochen.

Wegweiser zum Leichenschmaus.

Die letzten Tage waren mies. Wieder einmal müssen wir mit einer Giardien-Infektion und Durchfall Distanzen schrubben, aller Schlappheit und der schwülen Hitze zum Trotz. Dann geben die Abgase Daniel den Rest: eine eitrige Luftröhrenentzündung mit Fieber und Schüttelfrost. „Ich bin reisemüde“, presst er heraus. Ein Satz mit Sprengwirkung. „Nein, du bist krank und asienmüde“, versuche ich das schwarze Loch zwischen uns zu füllen. Denn wenn einer nicht mehr weiter möchte, platzt die gesamte weitere Reise. Daniel ist so matt, dass wir aus lauter Angst vor Malaria und Dengue ein privates Krankenhaus aufsuchen. Hunderte Patienten warten in dessen Empfangshalle und ich rechne mit dem Schlimmsten. Doch letztlich funktioniert dieses Thai-Spital besser als ein deutsches Modell: dem Arztgespräch folgen umgehend Labortests, die Medikamente inklusive Wurmkur erhalten wir in der integrierten Apotheke und zahlen mit VISA-Karte. Nach nur drei Stunden sind wir fertig, weniger als 80 Euro kostete alles zusammen. Nicht umsonst sind Thailand, Indien und Singapur Top-Ziele für westliche Medizintouristen.

Aus Laos kommend, fahren wir noch für einige Tage durch die Berglandschaften im Norden des Landes. Undurchdringlicher Regenwald wechselt mit Reisterrassen und verstreuten Dörfchen, der Verkehrslärm weicht dem Stimmenkonzert des Waldes und manchmal turnen Affen in den Bäumen.

Gibbon.

Ganze 127 Nationalparks zählt Thailand, in denen Tiger, Elefanten und Bären noch wild durch die Wälder streifen. Doch nicht wenige Schutzgebiete ähneln eher Zoos, erlauben Abholzung und Wilderei und verdienen ihren Namen kaum.

Wir nehmen den Zug weit in den Süden des Landes, um nach den endlosen Bergetappen entlang der Palmenstrände nach Bangkok zu radeln. Was nun folgt, überrascht uns selbst: So wohl haben wir uns in Südostasien noch nie gefühlt!

Die will man besser nicht am Zelt haben.

Knapp zwei Wochen genießen wir völlig steigungsfreies Fahren, Genussradeln pur. Mittags und abends erfrischen wir uns in den sanften Wellen des Thailändischen Golfes. Unser Budget reizen wir aus, denn das Zelt hat Pause. Stattdessen entspannen wir in klimatisierten Bungalows am Strand, mit Meeresrauschen als Soundkulisse. Bierchen, Sektchen, hier und da ein Fruchtshake. Wir verstehen es wieder zu leben!

Doch dem paradiesischem Anschein zum Trotz: Beim Schwimmen verheddere ich mich in Plastiktüten, bei Strandspaziergängen waten wir durch Müll. Steigender Lebensstandard und Massentourismus (also auch wir) führen im ganzen Land zu enormen Umweltproblemen. Knapp 40 Millionen Besucher urlaubten hier 2017, damit liegt Thailand auf Platz drei der umsatzstärksten Reiseziele weltweit, direkt hinter den USA und Spanien. Tendenz steigend. Ungeklärte Abwässer verwandeln ganze Buchten in Kloaken. Jährlich gelangen 700.000 Tonnen Plastikmüll ins Meer, denn Abfall wird schlicht im nächsten Bach entsorgt. Das kleine Land zählt zu den fünf größten Meeresverschmutzern überhaupt und alleine im Golf von Thailand finden sich mehrere Müllteppiche, mitunter nur 10 Kilometer entfernt vom Badestrand.

Doch trotz des touristischen Dauerbooms erfuhren wir seit Pakistan nicht mehr soviel Gastfreundschaft, und das in einem Land, das seiner zahllosen Gäste eigentlich überdrüssig sein dürfte? Ob Bananen, Wasser, Papayas oder Reis – täglich beschenkt man uns reichlich. Anders als in Laos zahlen wir oft weniger als das Preisschild angibt. Und ja, nicht nur einmal werden wir zum Leichenschmaus eingeladen.

Ein Kokosnussbauer und sein Helferlein.

Einige Nächte verbringen wir bei Gastgebern der Warmshowers-Gemeinschaft, einer Online-Plattform, bei der Einheimische kostenfrei Radreisende beherbergen. Zu Gast bei einem älteren Ehepaar stolpern wir in die nächste Peinlichkeit. Nur oberflächlich hatten wir uns über das Land informiert und fangen prompt an, sie über den neuen König auszuquetschen – der sich regelmäßig mit seinen Mätressen in Bayern herumtreibt. Lächeln und Schweigen verschwimmen in ihren Gesichtern. Erst Tage später erfahren wir: Wer schlecht über den König spricht, landet im Knast. Jeder kann dabei jeden denunzieren. Ein Schweizer Tourist verzierte einmal das Porträt des Herrschers mit Graffiti – und wurde wegen Majestätsbeleidigung zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Zu Gast bei Nut und Phu.

Paul und Natt können ihre Gäste gar nicht mehr zählen.

Besuch in einer Grundschule. Daniel zeigt, wie man einen Verband anlegt.

In Bangkok angekommen, bleiben nur wenige Tage, um die Räder zu verpacken und uns auf die nächste große Etappe vorzubereiten. In den kommenden Monaten wollen wir von San Francisco durch die amerikanischen Nationalparks und kanadischen Rockies bis nach Alaska radeln. Wir sind schon ganz hibbelig mit Blick auf die weiten Landschaften Nordamerikas, die saubere Luft, das westliche Essen. Ein kurzes Fazit unserer Asientour wollen wir dennoch ziehen und das geht am besten anhand von Fragen, die uns unterwegs immer wieder gestellt wurden.

Wie schafft ihr es, als Paar 24 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche zusammen zu sein?
Reden, reden, reden. Außer bei besonders anstrengenden Etappen – dann besser den Mund halten, sonst lassen wir den Frust am Partner aus. Letztlich betrachten wir es als großen Luxus, uns nicht wie zuhause nur kurz am Morgen und Abend zu sehen.

Was vermisst ihr am meisten neben Familie und Freunden?
Daniel: deutsches Brot, Pizza, Elektrorasierer, auf der eigenen Couch lümmeln. Claudia: Omas Rahmkuchen, Wasserkocher, ab und an Privatsphäre.

Was kosten die Räder? Wie könnt ihr euch diese Reise leisten?
Wir flunkern meist und behaupten, die Räder seien ein Geschenk unserer Eltern und wir wüssten den Preis nicht. Mit Erspartem, Sponsoren und Verzicht kann man einige Zeit mit Rad und Zelt unterwegs sein. Ein Auto inklusive Versicherung, Sprit und Reparaturkosten frisst vermutlich genauso viel Geld wie die gesamte Tour.

Ist es als Vegetarierin schwierig, unterwegs satt zu werden, Claudia?
Nein, ich brauche nur etwas mehr Geduld bei der Bestellung. Ich bitte immer die erste englisch sprechende Person in jedem neuen Land, mir schriftlich zu übersetzen: Kein Fleisch, kein Fisch und keine Fischsoße. Diesen Zettel zeige ich dann. Oder ich nutze Google Translate als Offline-Übersetzer auf dem Smartphone.

Daniel, wie fotografierst du die Menschen, wie euch beide auf dem Rad?
In den allermeisten Fällen bitte ich vorher um ein Foto und gebe mich auch mit einem „Nein“ zufrieden, was aber nur sehr selten der Fall ist. In manchen Gegenden sind die Menschen sehr scheu. Dann zeige ich ihnen ein Porträt irgendeiner anderen Person. Meist bricht dann das Eis und die Marktweiber stehen Schlange…
Für Fotos von uns beiden verwende ich ein Stativ, Fernauslöser oder die Zeitverzögerung. Ich reise mit zwei Kameras und mehreren Objektiven sowie allerhand Zubehör, insgesamt kommen 10 kg zusammen.

Was waren die wichtigsten Erkenntnisse während der Zeit in Asien?
Der familiäre und soziale Zusammenhalt hat uns stark beeindruckt. Es gibt keine Diskussion über zu wenige Pflegeheime, denn die Angehörigen kümmern sich selbstverständlich um die Älteren in ihrem Kreis. Kinder wachsen mit den Großeltern auf. Vereinsamung ist kein Thema.
Wo immer wir anklopften, haben wir uns selten als Fremde denn viel mehr geladene Gäste gefühlt, so selbstverständlich wurden wir beschenkt und beherbergt. Oft brachten uns Einheimische Früchte oder Wasser ans Zelt. Diese bedingungslose Gastfreundschaft hat uns sehr berührt. Nur in den wohlhabendsten Ländern der Welt, Deutschland und Schweiz, wurde uns bisher Trinkwasser verweigert („Wenn mich jeder danach fragte, wäre ich ja arm.“), was uns bis heute schockiert. Einfach unvorstellbar in Asien, wo selbst jene, die nichts hatten, doch alles teilten. Nicht jeder kann oder will reisend natürliche Ängste und Vorurteile abbauen. Wir haben uns deshalb entschieden, die Amadeu Antonio Stiftung zu unterstützen, die innerhalb Deutschlands Projekte gegen Fremdenfeindlichkeit fördert und Opfern rassistischer Gewalt schnelle Hilfe bietet.