Tasmanien

07. März – 01. April 2014

Echte, mitunter kaum erforschte Wildnis, alpine Bergplateaus, üppige Regenwälder – seit einem Reisebericht in Daniels „Naturfoto“ schwirrte uns Tasmanien hartnäckig im Kopf herum. Und wurde schließlich eines der Topziele unserer Reise. Zwar sind wir erneut mit Mietwagen und Zelt unterwegs, doch anders als auf Festland-Australien entdecken wir diesen „Minikontinent“ größtenteils zu Fuß. Wir besorgen uns noch schnell ordentliche Gamaschen, denn alle drei Schlangenarten der Insel sind giftig. Gleich in der ersten Nacht wecken uns die markanten bis fürchterlichen Schreie Tasmanischer Teufel. Vermutlich zanken sie sich um das in der Nähe verendete Wallaby und klingen dabei wie die kleinen Dinosaurier in „Jurassic Parc“.

Knapp 40% Tasmaniens stehen unter Naturschutz, für uns also endlose Trekkingmöglichkeiten. Wir beginnen unser Wanderabenteuer im Mount Field Nationalpark und erkennen schnell körperliche Grenzen. Mit schwerem Gepäck machen wir uns auf, den Mount Field West zu erklimmen und verschenken all unsere Kraft an einem weiten Feld massiver Felsblöcke, über die es zu balancieren bzw. springen gilt.

Doch als Lohn der Mühen winkt ein fantastischer Zeltplatz auf einem kleinen Plateau, bewachsen mit dicken Moospolstern, durchsetzt von kleinen Teichen und von der Abendsonne verwöhnt.

Spät nachts bricht ein Sturm los, Regen peitscht gegen die Zeltwände, der ganze Boden scheint zu vibrieren und die Membranen knattern wie ein Maschinengewehr. Die Temperatur fällt auf erfrischende 5°C. Spätestens jetzt hat sich die Investition in das teure Sturmzelt gelohnt!

Tasmanien liegt etwa auf dem 40. Breitengrad, was auf der Nordhalbkugel der Lage Südfrankreichs entspricht. Kalte und feuchte antarktische Stürme des Südwestpassats heulen übers Land – die „Roaring Fourties“ (Brüllende Vierziger). Die Winde bringen viel Regen, der im Westen niedergeht und den Osten verschont. Dies erklärt das stets wechselhafte Wetter, das vor allem im Hochland unberechenbar ist.

Die Wolken fangen sich an der Westküste der Insel und sorgen hier für Niederschlag an 260 Tagen und bis zu 3.000 mm im Jahr (zum Vergleich Deutschland: 500 mm). Der Regen lässt immergrüne, urige Regenwälder entstehen, mit mannshohen Baumfarnen, bemoosten Urwaldriesen und zahlreichen, idyllischen Bachläufen.

Wir dringen vor in das Herz der Insel, in die alpine Region des Cradle Mountain Nationalparks. Wir planen eine zweitägige Wanderung im Weltnaturerbe, verbringen angesichts der aufregenden Vielfalt schließlich jedoch vier Tage in dem Gebiet. Kurz nach Aufbruch ziehen Gewitter übers Land und wir schlagen unser Nachtlager an einem nebelverhangenen See nahe des Cradle Mountain auf.

Aus lauter Frust über das schlechte (Foto)Wetter setzen wir am nächsten Morgen nochmal alles auf eine Karte und verlassen das Zelt im diesigen Morgengrauen. Als die Sonne schließlich den Nebel auflöst, erstrahlt das Gipfelpanorama in solch betörender und vollendeter Schönheit, das uns der Mund offen stehen bleibt.

Voller Vorfreude buchen wir eine abendliche Tour durchs Devil Interpretation Centre im Park: eine Aufzuchtsstation für Tasmanische Teufel, die zumeist ihr gesamtes, etwa vierjähriges Leben dort verbringen. Eine rätselhafte Tumorerkrankung rafft die einzigartigen Beuteltiere derzeit dahin. 2012 wurden einige gesunde Teufel auf die nahe gelegene Insel Maria Island geschippert, um die Art vor dem Austerben zu schützen. Wie auf dieser Reise schon so oft, geht ein Traum in Erfüllung und wir erleben die nachtaktiven Tiere in Aktion. Ich weiß nicht, wer aufgeregter umherflitzt: die Teufel, denen Aas ins Gehege geworfen wird – oder Daniel mit seiner Kamera …

Wie auch in Westaustralien leben wir inmitten einer sonderbaren und allgegenwärtigen Tierwelt. Nachts zirpen die Grillen, tummeln sich Dutzende Wallabies und Pademelons am Lagerplatz (und stolpern über das Kochgeschirr), turnen Possums durch die Bäume, und morgens weckt uns das Gezeter der Kakadus oder das keckernde Gelächter des Lachenden Hans. Was anfangs unheimlich erschien, ist nun wichtiger Bestandteil unseres Alltags geworden. Ein Leben ohne Tiergeräusche – für uns inzwischen kaum vorstellbar!

Wombat.

Schnabeltiere zählen eigentlich zu den Säugern, ihre Jungen schlüpfen allerdings aus Eiern und werden schließlich im Beutel gesäugt und ausgetragen. Ein einzigartiger Fortpflanzungszyklus, den das seltsame Wesen nur mit dem Ameisenigel teilt – beide Arten leben ausschließlich auf Tasmanien. Nach zweistündiger Wartezeit in regungsloser Position, stillschweigend an einem Flussufer, haben wir endlich Glück!

Ameisenigel.

Ein Kleinod an der Ostküste ist die Bay of Fires: ursprünglich helles Doleritgestein wird von einer Algenart bewachsen, die dem Fels die typische, namensgebende Färbung verleiht.

Dazwischen spannen sich weiße Sandstrände und türkisblaue Buchten.

Wir wandern etwa vier, fünf Stunden täglich, stärken uns mit Brot, Cheddar, Schoki und atmen derweil soviel frische Luft, dass unsere Lungen hörbar jauchzen. Dennoch drücke ich mich vor schlauchenden Mehrtagestouren wie etwa dem berühmten Overland-Track. Nepal wirkt noch immer nach. Antrieb und Wille fehlen, die körperlichen und psychischen Kräfte erneut völlig zu erschöpfen. Ich frage mich, ob ich nun bequem werde? Doch wenn ich an all die Trekkinggebiete auf meiner Reisewunschliste denke, weiß ich schnell die Antwort.

Als „atemberaubendes Naturspektakel“ beschreibt der Wanderführer die südlich gelegene Tasman-Halbinsel und ihre Steilküsten. Die höchsten Klippen Australiens erwarten uns hier; bis zu 400m stürzen sie ins Meer. Dauerregen lässt die spektakuläre Sicht am Cape Hauy allerdings nur erahnen.

Dagegen lohnt sich die fünfstündige Trekkingtour zum Cape Raoul vollends: der Himmel klart an diesem Tag endlich wieder auf, die Doleritfelsen des Kaps ragen Orgelpfeifen ähnelnd majestätisch aus dem Meer. Plötzlich hören wir dröhnende Stimmen von der Tiefe heulen – zahlreiche Seehunde gönnen sich ein Sonnenbad.

Port Arthur – vor knapp 200 Jahren ließ allein der Name europäische Banditen erschaudern. Nur durch eine schmale Landenge mit dem Festland verbunden, entledigten sich die Briten hier ihrer Schwerverbrecher. Zwangsarbeit in den umliegenden Wäldern und strenge Isolationshaft sollten tausende Sträflinge zu „besseren Menschen“ erziehen. 1996 erfuhr das Weltkulturerbe erneut erschreckende Gewalt: ein Jugendlicher lief Amok, erschoss 35 Besucher und Mitarbeiter. Noch heute wirkt der Ort bedrückend. Als wir nach einigen Stunden zurück gen Parkplatz laufen, fühle ich mich merklich erleichtert.

Nach knapp 15 Jahren platzen Daniels Wanderstiefel aus allen Nähten. Wir überlassen die antiken Stücke einem Schuster zur Reparatur, ich entschuldige mich mehrmals für den strengen Geruch und Daniel zieht in Sandalen weiter. Im nasskalten und blutegelverseuchten Regenwald des Lake St. Clair-Nationalpark vielleicht keine gute Idee?

Ein Holzhäuschen am See, inmitten eines Eukalyptuswaldes… Erstmals auf dieser Weltreise können wir uns vorstellen, in einer anderen Gegend als Deutschland zu leben. Tasmaniens landschaftliche Vielfalt ist einzigartig, die Entfernungen gering. Außergewöhnlich hilfsbereite und lockere Einwohner lieben ihr Land, ihr kleines Paradies. Nur ein Fleckchen Erde, sagen manche, könne damit konkurrieren: Neuseeland. Wir sind gespannt …