Nordchile

08. Mai – 02. Juni 2014

Wir verlassen Auckland am Abend des 08. Mai, überschreiten die Datumsgrenze … und erreichen Santiago de Chile am Nachmittag des selben Tages! Der Nachtbus bringt uns weiter gen Süden nach Los Angeles, wo uns Paulina und ihre Familie herzlich empfängt. Paulina lebte vor einigen Jahren als Austauschschülerin bei Daniel, getreu dem Motto „Mi casa es tu casa“ fühlen nun wir uns im fernen Chile wie zu Hause. Und als nach einigen Tagen endlich der üble Jetlag besiegt ist, setzen wir unser Nomadenleben fort.

Jahreszeitlich bedingt konzentrieren wir uns auf den trockenen Norden des 4300 km langen Landes. Um weitestgehend ungebunden zu reisen, setzen wir auch hier auf Mietwagen und Zelt – nur bedarf es für dieses Unterfangen einiger Recherche. Die Empfehlungen der Einheimischen reichen von „Kleinwagen“ bis „selbst fahren unmöglich“; von „wildcampen total safe“ bis „Überfallgefahr durch Drogenschmuggler“. Mit einem Pickup fahren wir schließlich entlang der Panamericana nach San Pedro, touristische Oase inmitten der Atacama-Wüste.

Die Atacama zieht sich über 1.200 km durch den Norden Chiles; die Anden im Osten bilden eine natürliche Barriere für die feuchte Luft des Amazonasbeckens, und der kalte Humboldtstrom an der Westküste lässt die Bildung von Regenwolken nicht zu. Es gibt Orte, an denen es seit Beginn der Wetteraufzeichnung noch nie geregnet hat – dagegen ist selbst das Death Valley ein Feuchtgebiet. Doch über landschaftliche Langeweile können wir uns nicht beklagen!

Im Tal des Todes (Valle de la Muerte).

San Pedro liegt am Pazifischen Feuerring und ist folglich von Vulkanen umgeben.

Spärlich sammelt sich Wasser der umliegenden Berge, transportiert Mineralien und verdunstet – es bilden sich endlose Salzpfannen.

Nahe San Pedros liegt das Valle de la Luna, benannt nach seinem mondähnlichen Erscheinungsbild. Wind und seltene Niederschläge haben das spröde Gestein im Laufe der Zeit sonderbar geformt und Canyons in das mitunter pure Salz gefräst. Wir ergattern die Genehmigung in diesem Naturreservat zu zelten, welch ein Glück! Ich jedenfalls fotografiere die halbe Nacht, denn die Atacama bietet die weltweit besten Bedingungen für Bilder des Nachthimmels.

Gleißende Sonne, salzige Winde, knochentrockene Luft und enorme Temperaturschwankungen zwischen heißen Tagen und klirrend kalten Nächten: wir kämpfen mit rissigen Händen, brennenden Augen, Nasenbluten und fühlen uns wie Dörrobst im Ofen. Dazu gesellen sich Symptome der Höhenkrankheit (Kopfschmerzen, Schlafapnoe), die wir jedoch rasch überwinden.

Unweit von San Pedro, auf dem chilenischen Altiplano, liegen malerische Seen: die Lagunas Altiplanicas.

Nach ausreichender Akklimatisation machen wir uns auf zu den Tatio-Geysiren, dem höchsten geothermalen Feld weltweit, und zelten in der Nähe der Parkverwaltung auf 4.300 m. Nachts peitscht Schnee gegen das Zelt, die Temperaturen fallen auf eisige -15 °C, aber dank entsprechender Ausrüstung bleiben wir kuschelig warm.

Am nächsten Morgen weckt uns ein Polizist und mahnt, rasch ins Tal zurückzukehren, ein Sturmtief sei im Anmarsch. Doch ist der Dieselmotor eingefroren und auch die Starthilfe des Pförtners bleibt erfolglos. Schließlich rollen wir den Wagen in die Nähe des Geysirfeldes, wo der Motor schnell auftaut – und los geht’s! Nach etwa 10 km gewinnt der Sturm an Kraft und wird zum White out – Himmel und Erde verschmelzen zu reinem Weiß und wir verlieren völlig die Orientierung. Nun stecken wir fest, in einem Blizzard irgendwo im Nirgendwo, etwa 80 km von San Pedro entfernt, und wissen nicht, ob und wann Hilfe kommt. Ich versuche noch den Wagen mit den Händen freizugraben, aber der Wind peitscht mir Sand und Eis wie Nadelstiche ins Gesicht. Nach anfänglicher Panik und Verzweiflung beschließen wir, die Sache auszusitzen – Wasser, Nahrung und Spiritus für den Kocher sollten für ein paar Tage reichen. Einige Stunden später legt sich der Sturm etwas, die gleichen Parkangestellten passieren uns und schaufeln den Pickup schließlich frei!

Wir verabschieden uns in verschiedene Richtungen und entdecken wenig später im Straßengraben einen Bus voller Touristen, die verzweifelt versuchen, das Gefährt wieder auf die Straße zu schieben. Die Tagesausflügler haben keine Verpflegung oder Thermokleidung dabei, eine brenzlige Situation in Anbetracht der nächtlichen Temperaturen. Wir sacken die Reiseleiterin ein und erreichen die nächste Siedlung, in der sie Hilfe organisieren kann. Zurück in San Pedro tobt ein Sandsturm – wir gönnen uns ein Hotel, Restaurant und gehen feiern!

Am nächsten Tag schneit es selbst im Atacama-Becken – ein seltens Phänomen, das selbst gestandene Chilenos zu Kindern macht: überall suhlt man sich im Schnee, baut Schneemänner, gibt‘s exzessive Schneeballschlachten.

Wir wollen weiter gen Norden, kaufen noch fix Notwendiges ein – und finden den Wagen schon für uns geöffnet vor. Trotz Parkplatz mit Sicherheitspersonal haben Diebe den Pickup geknackt, glücklicherweise aber nur die Rucksäcke mit allerhand Kleidung gestohlen. Tablet, Handy und Hilleberg-Zelt waren den Einbrechern wohl nichts wert… Kamera, Kreditkarten und Pässe hatten wir zwar vorsorglich am Mann, sind uns aber nicht sicher, ob sich Kopien aller Dokumente (inklusive der Kreditkarten) in den Rucksäcken befanden. Sicherheitshalber sperren wir deshalb sämtliche Reisekonten. Es folgen Polizeiprozedere, Wagentausch und die komplizierte Organisation neuer Kreditkarten. Die werden uns hoffentlich nach Bolivien geschickt …

Wir sammeln alle unsere (Nerven)kräfte und fahren weitere 1.000 km in den Lauca-Nationalpark. Der Parinacota, ein 6.300 m hoher Bilderbuch-Vulkan, liegt an einem der höchsten Seen weltweit. Hier auf etwa 4.600 m stoßen wir mit unserer Zeltausrüstung an Grenzen. Claudia zittert und macht Liegestütze im Schlafsack, um Wärme zu generieren. Ich fotografiere derweil in Eiseskälte – denn so eine Milchstraße gibt‘s in Leipzig nicht.

Mittlerweile wissen wir mit dem Pickup umzugehen und parken den Wagen abends immer gen Osten. Und während die Morgensonne den Motor auftaut, genießen wir unsere Haferflocken mit Blick auf eine Lamaherde.

Vicuñas.

Flamingos an der Laguna Chaxa.

Ein Art der Chinchillas: das Viscacha.

100 km Schotterpiste führen zum Salar de Surire, einem einsamen Idyll im Reserva Nacional de las Vicuñas.

Zurück in San Pedro organisieren wir unsere Überfahrt nach Bolivien. Chile raubte uns nicht nur aufgrund der Höhenlage den Atem. Die Farben- und Formvielfalt der Atacama, die Tiere des Altiplano sowie wunderschöne, teils aktive Vulkane ließen uns beständig staunen. An Herausforderungen mangelte es ebenso wenig. Klima, Blizzard und Diebstahl zehrten an unserer Substanz – und zeigten erneut, dass man mit Willenskraft und Zusammenhalt auch schwierige Herausforderungen meistert.