Neuseeland

02. April – 08. Mai 2014

Ich will hinschmeißen! Traumziel Neuseeland – und wir sind völlig demotiviert. Das Krankenhaus von Christchurch wird erste Anlaufstelle nach dem Flughafen, denn Daniels Fuß erlaubt nicht mehr als schmerzhaftes Humpeln. Vermutlich eine Sehnenscheidenentzündung, das Röntgenbild zeigt jedenfalls keinen Knochenbruch. Die einzige Kur: Ibuprofen und SCHONUNG. Pausieren also ausgerechnet in einer der schönsten Regionen der Erde. Hinzu kommen: ein popeliger Mietwagen, deutsche Spritpreise und gesetzlich stark eingeschränktes Wildcampen. „Wir haben nun schon so viel zusammen geschafft“, tröstet mich Daniel. Und nach 13 Stunden Schlaf krabbeln wir schließlich optimistischer aus dem Zelt heraus und diesem nächsten Höhepunkt entgegen.

Drei Wochen werden wir uns auf der Südinsel von Nationalpark zu Nationalpark hangeln, zwei auf der Nordinsel. Bereits die Fahrt Richtung Lake Tekapo lässt uns eintauchen in endlose Hügel- und Weidelandschaft. Wir halten Ausschau nach Frodo und Sam, denn stets fühlen wir uns in die Welt des „Herrn der Ringe“ versetzt.

Die „Kirche des guten Hirten“ am Lake Tekapo, eines der bekanntesten Bauwerke der Insel.

Wir gönnen uns gleich zu Beginn Neuseelands höchsten Gipfel. Der Mount Cook (3800m) und seine Nachbarn sind zudem Ursprung des New Zealand Glacier. Dieser schrumpft zwar mit rasanter Geschwindigkeit, behauptet sich aber als längster Gletscher des Landes. In seinem ehemaligen Bett hinterlässt das ächzende, knackende Ungetüm einen neuzeitlichen See – einige Eisberge schaffen es gar bis zur Flussmündung.

Letzter Einsatz nach 14 Jahren; auch mehrere verzweifelte Wiederbelebungsversuche für Daniels Schuhe schlagen fehl.

Trotz heilendem Fuß und spannender Natureindrücke fällt uns die Umstellung von Tasmanien zu Neuseeland weiterhin schwer. Das kürzlich eingeführte Wildcamping-Verbot schränkt ein, raubt die geliebte Schlaffreiheit. Ausgerechnet Nationalparks bieten die einzige Chance, trubelige Campingplätze legal zu umgehen. Nur hier dürfen wir das Zelt kostenfrei inmitten menschenleerer Natur aufstellen. So schlagen wir etwa im Fjordland an einem beliebten Aussichtspunkt unser Nachtlager auf und staunen über eine Milchstraße, die zum Greifen nahe scheint.

Hatten wir im sonst verregneten Fjordland noch Glück, zeigt uns der Wettergott in den kommenden zwölf (!) Tagen den Stinkefinger. Wir erleben Frost, Dauerregen und harren schließlich zwei ganze Tage bei Sturmböen, Starkregen und Schlammboden in unserem Lager aus. Draußen tobt ein ausgemachter Zyklon, die Bäume biegen sich waagerecht, nebenan zerlegt‘s ein Zelt. Doch mit Himbeermarmeladenbrot und Schoki lässt sich dieser Weltuntergang überstehen.

Auch ohne Zyklon ist die Niederschlagsmenge auf der Südinsel hoch. Feuchte Passatwinde stauen sich an den Bergen der Westküste und bringen Regen, viel Regen: am Milford-Sound an 200 Tagen im Jahr, 20 mal mehr als in Deutschland, mancherorts fallen 50m Neuschnee. So entstehen ausgedehnte, üppige Regenwälder mit immergrünen Südbuchen und Farnteppichen.

Wir vermissen nicht nur Sonnenschein, auch die allgegenwärtigen, raschelnden Tiere Australiens fehlen. Nur eine neugierige Vogelart traut sich zu uns: der Kea. Die geselligen Bergpapageien, verspielt und intelligent, zerpflücken mit Vorliebe Dichtungen und Wischerblätter von parkenden Autos, Mülltüten und Campingequipment. Und so weckt uns morgens um halb sechs ohrenbetäubender Lärm, als sich eine Schar der munteren Gesellen um das Zelt versammelt und alsbald mit der Demontage selbigen beginnt.

Ein Verwandter des Kea: der Kaka.

Türkisblaues Meer und goldene Strände, die an üppigen Regenwald grenzen – der Abel Tasman Nationalpark zählt zu den paradiesischsten Fleckchen Neuseelands. Hier erleben wir den ersten sonnigen Spaziergang seit Tagen; dann setzen wir mit der Fähre auf die Nordinsel über.

Hier im Norden verliebe ich mich Tag für Tag mehr in Neuseeland – aufgrund zwei grundlegender Strategiewechsel. Zum einen reisen wir der Sonne nach. Zum anderen meiden wir Campingplätze vollends und schlafen stets auf Farmer-Grund.

So übernachten wir auf Milchfarmen, Kiwiplantagen, Schlachthöfen und freuen uns nicht nur über komfortable Rasenflächen. Die Bauern spendieren meist Kaffee, Frühstück oder eine heiße Dusche. Auch Proviantpakete mit Früchten, Eiern und selbstgemachten Leckereien bekommen wir mit auf den Weg – Graham und Cath lassen uns nicht ohne einen Wochenvorrat Bananenkuchen ziehen.

Ein echter Medienstar wühlt sich im Vogelreservart der staatlichen Naturschutzbehörde durchs Unterholz: der weiße Kiwi. Possums und Hunde bedrohen Neuseelands Nationalvogel – Kiwis können nicht fliegen, legen kaum Eier und leben in Erdlöchern. Ihre Rufe sind durchdringend und wecken uns manchmal gar im Zelt. Die nachtaktiven Vögel kommen üblicherweise mit braunen Gefieder auf die Welt, nicht aber dieser.

Rotes Licht kann der scheue Vogel nicht wahrnehmen.

Neuseeland, immer wieder von vulkanischen Erruptionen und Erdbeben heimgesucht, befindet sich in einer der geologisch aktivsten Regionen der Erde. Wo die australische und pazifische Kontinentalplatte aufeinanderprallen, verläuft ein Riss quer durch die Nordinsel, eine Kette von Vulkanen und heißen Quellen mit dem Tongariro-Nationalpark als buchstäblichem Höhepunkt.

Blick auf den „Schicksalsberg“, bekannte Szenerie des „Herrn der Ringe“.

Die Wettervorhersage gibt grünes Licht und wir machen uns auf, den aktiven Mt. Tongariro zu queren, heilig in der Maori-Mythologie und Namensgeber des Parks. Die anstrengende Tagestour führt über heiße Ascheberge und vorbei an verstreuten Kraterseen, die durch Mineralien beladen smaragdgrün schimmern.

Mount Ruapehu.

Der Mt. Taranaki, zwar abseits des Tongariro-Nationalpark, aber nicht minder beeindruckendes Ergebnis der Plattentektonik.

Seit meiner ersten Neuseeland-Dokumentation assoziierte ich das Land mit der White Island. Tatsächlich ist die Insel der Gipfel eines aktiven Unterwasser-Vulkans. Tourguides verteilen Gasmasken und Plastehelme – beides ist unabdingbar! Überall zischt und brodelt es, Schwefelsäure liegt in der Luft. Der Kratersee hat gar einen negativen pH-Wert und ist 50 Mal saurer als Batteriesäure.

Während der knapp zweistündigen Überfahrt haben wir gleich doppelt Glück: unser Kapitän sichtet Tölpel, die einen Fischschwarm einkreisen, da können Delfine nicht weit sein. Und tatsächlich werden wir bald von einer Schule der agilen Meeressäuger begleitet. Etwa 50 Tiere nähern sich dem Boot, vollführen Kunststückchen und reiten die Bugwelle in voller Fahrt – ein Spektakel, das wir wohl nie vergessen werden!

Die letzten Tage lassen wir ganz im Norden ausklingen, am Cape Reinga und dem legendären Ninety Mile-Beach – hier sind Strandspaziergänge tatsächlich unendlich …

Meeresströmungen transportieren den Sand vergangener Vulkane gen Norden, stetige Westwinde pusten ihn ins Inland, dort entstehen gewaltige, bis zu 200 m hohe Dünen.

Knapp 17.000 Fahrkilometer, 93 Nächte im Zelt und unzählige kleine und größere Wanderungen liegen nun hinter uns. Westaustralien, Tasmanien, Neuseeland – nie haben wir uns freier gefühlt als in diesem süßen, selbstbestimmten Leben. Das erst verregnete Neuseeland offenbarte schließlich bei Sonnenschein seine atemberaubende Natur. Gletscher, Regenwälder, Fjorde und Vulkane sind hier direkte Nachbarn. Nun beginnt ein neuer Reiseabschnitt in Südamerika: wir freuen uns auf Paulina und ihre Familie in Chile und die trockenste Wüste der Welt, die Atacama.